Unbenannte Seite

Gunda Förster

Reflection

Nachts verschwimmen die Konturen. Die Stadt ist fast unsichtbar. Graue Häuser schieben sich zu Mauern zusammen. Die Dunkelheit verschlingt die schwarzen Stahlrippen der Brücke. Trübes Wasser treibt schmatzend durch die Kanäle. Eine undurchsichtige Fläche, die tief ist. Was ist das, dieses undurchdringliche Schwarz? Wenn man nichts hören würde, wäre da Nichts. Ist das Nichts Schwarz? Schwarze Löcher verschlingen alles. Werden größer und mächtiger. Schwarz ist dunkel. Schwarz ist schwer. Schwarz ist kalt. Ehe die Sonne stirbt, wird sie sich so aufblähen, dass sie die Erde verschlingt. Licht durchdringt die Finsternis. Alles wird hell. Von Licht überflutet und dann plötzlich wieder ins Dunkel getaucht. Grau die Luft, die sich in feinen undurchdringlichen Schichten kaum dunklerer Tönung um mich herum ausbreitet. Früher dachte ich, ich könne die Luft sehen, abends, wenn es dunkel war im Zimmer, das Krisseln vor meinen Augen. Aber man kann die Luft nicht sehen. Genauso wie man auch das Licht nicht sehen kann. Immateriell. Nichts. Ist das Nichts Weiß? Licht breitet sich über das Wasser, verdrängt die Finsternis. Die schwarze Fläche unter der Brücke, zunächst düster, beginnt  zu strahlen. Flirrendes Flimmern über leuchtendem Wasser. Sich unaufhörlich wandelnde Strukturen, kein Stillstand, immer wieder anders. Ständige, stetige Veränderung. Heute ist man schon wieder jemand anders als man gestern noch war. Alles befindet sich im Fluss. Man muss auf die Verlagerungen und Verschiebungen achten, auf Bewegungen und Zerstreuungen, um das Spiel des Sinns erkennen und mitspielen zu können. Das leuchtend wabernde Wasser spiegelt sich an der starren Konstruktion der Brücke. Ein Bild und sein Gegenbild. Wahrheit und Täuschung. Gibt es zwischen dem Wirklichen und unserem Bild von ihm überhaupt eine Entsprechung? Was ist wirklich? Was ist real? Wo ist die Grenze zwischen Realität und Schein? Alles ist miteinander verbunden, vermischt, verwoben. Verweise und Bezüge verlagern sich mit zunehmender Geschwindigkeit. Ich muss mich beeilen. Immer schneller. Immer weiter. Immer will ich woanders sein als ich gerade bin. Wohin verschwindet das Licht in der Dunkelheit?

Katalogtext zum Projekt
transportale, 2003
> REFLECTION

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