Unbenannte Seite

Ulmann-Matthias Hakert, Gunda Förster

INTERVIEW
aufgezeichnet am 21.03.2001


Siehst du viel fern?
Unterschiedlich: Es gibt Zeiten, in denen ich eher viel gucke, und Zeiten, da gucke ich überhaupt nicht. Fernsehen ist für mich Ablenkung – im Gegensatz zu Kino. Ins Kino gehe ich zielgerichtet, nur um ganz bestimmte Filme zu sehen. Ich hole mir auch keine Videos, um einen bestimmten Film zu Hause zu sehen. Nur wenn zu erwarten ist, dass ein Film nie mehr ins Kino kommt, oder eben für meine Fotografien vom Bildschirm.

Und was guckst du?
Nachrichten, und ansonsten … Wenn ich spät nachts einfach nur »fertig« bin, dann ist völlig egal, was kommt. Der Fernseher läuft bei mir aber nie nebenher, ebenso wenig Musik. Das würde mich stören. Ich habe kein sonderlich inniges Verhältnis zum Fernseher. Ich benutze ihn einfach für meine Arbeit und ab und zu, um den Kopf frei zu kriegen.

Stört dich nicht der Effekt der Derealisierung?
Das finde ich gerade spannend am Fernsehen, dass du durch dieses Medium etwas bekommst, was du real nie haben kannst. Wenn ich zum Beispiel ein bisschen kaputt bin, wie gestern. Da sollte ich mit in eine Kneipe kommen, aber ich fühlte mich gar nicht danach. Es hätte mich zu sehr angestrengt, da hinzugehen, mich auf andere Leute einzulassen und selber reden zu müssen. Da bin ich eben nach Hause. Ich wollte arbeiten, war aber auch dafür zu müde. Also habe ich mir eine Talkshow angesehen. Ich fand gut, quasi dabeizusitzen, selbst aber nichts sagen zu müssen. Trotzdem konnte ich mehr oder weniger interessante Geschichten anhören. Und als ich keine Lust mehr hatte, stellte ich einfach aus. Da musste ich mich bei niemandem entschuldigen, mich mit niemandem arrangieren, weil ich nun weg wollte, sondern drückte auf den Knopf und war raus. Ich war für mich und alles war gut. Dass das wirklich so funktioniert, hängt natürlich von meinem emotionalen Zustand ab.

Wann fotografierst du beim Fernsehen?
Ich fotografiere nur in Situationen völliger Entspannung. Das bedeutet, nachts – nie tagsüber. Wenn ich keinen Termin mehr habe, das Telefon nicht klingelt und ich ruhig bin. Ich kann mich nicht hinsetzen, Fernseher an und los … Ich muss mich da erst einmal reindenken, reinkommen. Im Laufe der Zeit habe ich genug Erfahrungen gewonnen, um zu wissen, was ungefähr auf der > Fotografie sein wird. Das ist kein 100-prozentiges Spiel mit dem Zufall mehr. Es gibt eine Kalkulierbarkeit, auch wenn noch ein ziemlicher Spielraum bleibt. Ich bin auch dazu übergegangen, nicht mehr irgendeine Sendung zu fotografieren, sondern hole mir spezielle Filme. Videos, die in den Kontrasten stärker sind. Die Abstufung der in den Einzelbildern gefrorenen Bewegungen wird dadurch ausgeprägter. Der Effekt, der bei der Aufnahme des elektronisch aufgelösten Bildes durch die Trägheit des Fotoapparats entsteht, diese Überlagerung, ist stärker bei kontrastreichen Filmen.

Welche Filme sind reicher an Kontrasten?
Schwarzweißfilme aus den 40ern und 50ern, zum Beispiel französische Filme aus jener Zeit oder auch alte amerikanische Filme. Das hängt vom Filmmaterial ab. Aber ich fotografierte auch »THX 1138«, Bilder aus dem ersten Film von George Lucas. Auf den stieß ich zufällig im Fernsehen. Ein Großteil des Films spielt in einem weißen, konturlosen Raum, wo sich Leute bewegen, die ebenfalls weiß angezogen sind. Die einzigen Kontrastpunkte sind die Hände und die Gesichter. Als ich da so reinzappte, habe ich mir schnell den Fotoapparat geholt. Ziemlich tolle Fotos machte ich auch bei einer Orson Welles Verfilmung von Shakespeares »Othello«. Ich hatte mir einen Stapel Schwarzweißfilme aus der Videothek geholt, da war er dabei. Der Vorteil bei Videos ist, dass ich zurückspulen kann, und dann eine bestimmte Sequenz fotografieren.

Wieso sind alle Aufnahmen schwarzweiß?
Bei Farbfilmen drehe ich den Fernsehapparat auf schwarzweiße Wiedergabe, dann entstehen auf dem Farbdiafilm diese Blautöne. Als ich »THX 1138« das erste Mal fotografierte, drehte ich noch nicht die Farbe raus. In den Passagen mit weiß gekleidete Leuten in weißen Räumen waren natürlich immer noch die Hauttöne zu sehen. Die habe ich am Computer so nachbearbeitet, dass sie auch eher grau, schwarz, bläulich sind. Alle Fotos werden am Computer bearbeitet. Manchmal werden die Fotos aber nicht nur nachbearbeitet, sondern ich wähle am Computer einen Ausschnitt. Schon beim Fotografieren nehme ich einen Ausschnitt von der Mattscheibe, aber manchmal eben daraus wieder einen Ausschnitt. Dann werden die Bilder auch noch so bearbeitet, dass die Farbwerte etwa gleich sind.

Mit was für einer Technik arbeitest du, digital?
Nein, das ist eine ganz normale Automatikkamera. Bei dem automatischen Apparat muss ich mich nicht mit der Technik der Kamera befassen, während ich auf den Bildschirm gucke. Ich kann mich voll auf die Bilder konzentrieren, um im richtigen Moment abzudrücken. Ich sitze zusammengekauert auf einem Sessel direkt vor dem Fernseher oder kniee vor dem Bildschirm und sehe die ganze Zeit durch den Sucher. Dadurch rückt das Bild näher und scheint direkt vor meinem Auge zu sein. Das macht die Geschichte viel intensiver und enger, als wenn ich da erst noch viel an der Kamera einstellen müsste. Später sehe ich mir die fertigen Bilder an: Ob ich eines gut finde oder irgend etwas darauf sehe, was mir als Ausschnitt vom Ausschnitt gefällt.

Seit wann machst du das?
Seit etwa zwei, drei Jahren; damals benutzte ich in einer Installation mit Diaprojektionen noch Bilder, die aus dem fahrenden Auto heraus fotografiert waren. Diese Bilder hatten die gewünschte Brillanz der Farben, die Kontraste, die Unschärfe und das Verwischen, also eine Verfremdung, um den Realitätsbezug der Aufnahmen zu minimieren. Wie ich dann auf das Abfotografieren vom Bildschirm kam, weiß ich nicht mehr so genau.

Auf jeden Fall verkehrte sich die Situation: Im Auto hast du dich bewegt. Die unbewegte Kamera vor dem Fernseher hält die Bewegung von Bildern fest.
Ich stellte fest, dass ich viel bessere Bilder habe, wenn ich die Kamera nicht direkt auf die Realität halte, sondern auf die gefilterte Realität am Bildschirm. Mir gefiel die Idee, das elektronisch hergestellte Bild von Realität zu benutzen und ein weiteres Mal mit dem Fotoapparat zu verfremden. Es ist nicht mehr rückführbar auf den Ursprung und dennoch ein scharfes Bild, im Sinne der Fokussierung – unscharf nur durch den Geschwindigkeitsunterschied zwischen Verschlusszeit und Filmbildfolge. Das fand ich spannend. Das Interesse für die Schwarzweißbilder hat natürlich auch mit meinen Lichtinstallationen zu tun – mit weißem Licht und Dunkelheit.

in: > NOISE, Vice Versa Verlag, Berlin, 2001

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