Unbenannte Seite

Petra Welzel

Das Unwirkliche realisieren: > 220 m3 ROT
Gunda Försters Lichtspiel in der Galerie SOMA

Insgesamt 48 rote Leuchtstoffröhren leuchten das 220 m3 fassende Volumen der Glasvitrine aus, deren Wände, Boden und Decke komplett rot gespritzt sind. Nur durch eine Schmalseite der dreiseitig verglasten Schaufenster-
vitrine fällt mit Einbruch der Dämmerung ein roter Schimmer auf den Fußweg. Mit zunehmender Dunkelheit steigert sich dieser in ein warmes, kräftiges Rot, das wie eine weiche, samtige Wolke irrational und lockend zugleich erscheint.

Seit zwei Jahren beschäftigt sich Gunda Förster ausschließlich mit der Farbe Rot. Zuletzt hat sie im > U-Bahnhof Weinmeisterstraße sämtliche Plakatwände mit schlichtem roten Papier überspannt. Eine Erläuterung zu der Aktion Rot-statt-Werbung gab es für die Fahrgäste nicht. Man kann dies als Kunst im öffentlichen Raum bezeichnen, die als solche nicht unbedingt erkennbar ist. Die Farbe Rot setzt in jedem Fall ein Signal und reizt die Wahrnehmung der oder des Vorübergehenden. Ist das eine verkappte, minimalistische Werbekampagne für Coca Cola in Dosen, eine Fahrt in’s Marlboro-Counrtry oder ein Anschlag roter Socken? Erwartet einen an der nächsten Station die Auflösung? Die Assoziationen sind frei und vielfältig, und das sollen sie nach Gunda Försters Absicht auch sein.
Dass sie die Farbe Rot für ihre wahrnehmungsästhetischen Gedankenspiele gewählt hat, war letztlich eine emotionale Entscheidung. Rot ist die schnellste Farbe, weil sie als erstes vom Auge wahrgenommen wird. Und sie löst gegensätzliche Vorstellungen aus; man denkt an Liebe und Leidenschaft, aber auch an Aggression; an Wärme, aber auch an Kälte.

Zum ersten Mal hat Gunda Förster jetzt einen ganzen Raum in Rot inszeniert, einen eigentlich öffentlichen Raum, der aber nicht begehbar ist. Das Raumerlebnis ist daher ein zweifaches: Materiell betrachtet ist das Rot geschützt durch die Glasvitrine. Dies wird bei Tageslicht besonders deutlich. Doch nachts, wenn das Rot seine ganze Leuchtkraft entfaltet, entsteht ein zweiter nicht greifbarer atmosphärischer Raum. Die Kunst der Verfremdung realisiert das Unwirkliche in der Wirklichkeit.

In: Die Tageszeitung, 17.05.1995

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